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« am: Juni 20, 2009, 08:47:39 » |
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...Holzauge Mitglied
Dabei seit: 26.05.2008 Beiträge: 31
Holzauge Mitglied
Dabei seit: 26.05.2008 Beiträge: 31
Holzauge
-------------------------------------------------------------------------------- Es regnet. Die Nacht ist bitterkalt. Ein gro߸ aufgerichteter, kräftig wirkender Mann steht in seinen Mantel gehüllt und mit einem tief ins Gesicht gezogenen Hut im Hafen von Reval. Das Blut, das aus seinen Wunden sickert, vermischt sich mit dem Regenwasser zu dunklen Pfützen. Holzauge betrachtet das Schiff, das in dieser finsteren Nacht vor ihm als massiver Klotz aufragt. Noch zögert er, das Schiff zu betreten, das ihn endgültig aus seinem bisherigen Dasein in ein völlig neues, ungewisses Leben bringen soll. Der Schritt widerstrebt ihm, tief in seinem Inneren. Aber er wei߸, dass es keine Alternative gibt. Der, der er bisher war, hat in dieser Nacht gewonnen und zugleich verloren.
Er war der ehemals erfolgreiche und hoch angesehene Advocatus Friedjoff Westphalen, der sich aus einem einfachen, bürgerlichen Leben als Sohn eines Schmiedes hochgearbeitet hatte. Er hatte viele Widerstände zu meistern, aber schlie߸lich hatte er es geschafft. Sein brillanter Geist und seine Geradlinigkeit hatten ihm die Türen geöffnet, die für Seinesgleichen normalerweise stets versperrt bleiben. In nur wenigen Jahren hatte er sich den Respekt und die Achtung des Adels erarbeitet. Und dennoch würden sie ihn nie als gleichwertig ansehen. Er war zwar ein heller Kopf und zog seinen oftmals borniert auftretenden Auftraggebern immer wieder den Kopf aus den juristischen Schlingen, aber trotzdem sahen sie in ihm nur den Knecht aus einfachen Verhältnissen. Als er anfing, der Tochter des Barons den Hof zu machen, wurde dieses zunächst verhalten, aber dann doch immer deutlicher in den Kreisen seiner Auftraggeber missbilligt. Was bildete sich dieser Emporkömmling eigentlich ein? Er hatte es ihnen zu verdanken, dass er sich überhaupt in dieser Gesellschaftsschicht aufhalten durfte. Aber genauso gut konnten sie ihn in seiner vermeintlichen Ma߸losigkeit wieder zügeln. Aber Friedjoff achtete nicht auf diese Zeichen. Er hielt es für den Ausdruck ihrer üblichen Arroganz und herablassenden Art. Aber schon bald sollte er spüren, wie falsch er mit dieser Einschätzung lag.
Als er sich heute bei Beginn der Dämmerung mit seiner Angebeteten traf, ahnte er nicht, welche Auswirkungen dieses geheime Treffen haben sollte. Die beiden verschwanden in den Stallungen auf dem Gut des Barons und wurden vom Bruder seiner vermeintlich baldigen Ehefrau in flagranti erwischt. Erklärungsversuche blieben zwecklos. Der junge Adlige sah das gerade Geschehene als die höchste Beleidigung seiner Familie an und forderte umgehende Genugtuung durch ein Duell. Der Advocatus wollte einen Zweikampf unbedingt vermeiden, doch der erzürnte Adelige hätte dieses niemals zugelassen. Es kam zu einem erbitterten Kampf zwischen den beiden Männern. Aufgrund jahrelangen Fechtunterrichts des Adeligen war dieser eindeutig im Vorteil. Dem Advocatus gelang es nur mit Mühe, den ständig aus allen Richtungen heranschwirrenden Klingen auszuweichen. Sein Vorteil lag dafür in seiner Grö߸e und Kraft, die er von seinem Vater, dem Schmied geerbt hatte. Und obwohl er von der schnellen Klinge seines Kontrahenten schon mehrfach verletzt wurde, gelang es Friedjoff, in einer einzelnen Sekunde der Unachtsamkeit seines Gegners, diesem die Stahlklinge mit einem wuchtig ausgeführten Sto߸ durch das Herz zu treiben. Der junge Baron war auf der Stelle tot. Seine Angebetete, die alles mit angesehen hatte, wandte sich von Friedjoff ab.
Der Advocatus wusste, dass ihm nur die Flucht blieb, wenn er diese Nacht überleben wollte. Ein Freund seines Vaters gab ihm den Rat, das Baltikum so weit wie möglich hinter sich zu lassen und sein Glück in der Ferne zu suchen. Und so kam es, dass in dieser Nacht der Advocatus Friedjoff Westphalen einen Kampf gewann und doch starb. Aus dem Blute dieses Kampfes sollte der Freibeuter Holzauge geboren werden, der nun im Regen dieser dunklen Nacht seinen ersten Fu߸ auf die Planken des Handelsschiffes setzte, um damit an das andere Ende der Welt zu segeln. Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, zum letzten Mal von Holzauge: 26.05.2008 14:32. ...
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